Natur / Altmühlsee
Eine Ausstellung im Museum Wolfram von Eschenbach in Wolframs-Eschenbach, 2013

Ein 200 Hektar großes Naturschutzgebiet, die Vogelinsel im Altmühlsee, ist Gegenstand ästhetischer Erkundungen für die Ausstellung anlässlich der Preisverleihung des Wolfram-von-Eschenbach-Preises 2013.

Tuschezeichnungen auf geschwärztem Bütten zeigen die Topografie des Vogelparadieses. Wie auf einer naturkundlichen Schautafel entfaltet sich der ornithologische und botanische Reichtum auf einem untragbaren Seidenkleid. Alles Unmittelbare bleibt Illusion laut der philosophischen Erkenntnis, dass das Natürschöne nur ein Reflex des Kunstschönen ist.

Ein naturschöner Plan
Eine Ausstellung von Verena Waffek, kuratiert vom Institut für moderne Kunst Nürnberg, studio und lounge im zumikon Nürnberg, 2012

Früher, um mit einem ziemlich hausbackenen Begriff anzufangen, also, früher, als wir noch alle wussten, was vorne und hinten ist in der Kunst, schien uns die Welt auch insgesamt verständlicher. Jetzt verstehen wir eigentlich gar nichts mehr, weder Sie noch ich. Nicht die Exzesse der Finanzwelt, nicht die Wissenschaft in ihrer Geheimsprache, nicht die Medizin mit ihren kryptischen Deutungsversuchen. Und oft verstehen wir auch unsere Nächsten nicht. Das war allerdings früher auch nicht anders.

Die Welt nicht zu verstehen ist irgendwie frustrierend, es ist blöd. Also wollen wir als potentielle Kenner zumindest die Kunst wieder verstehen und schaffen uns dafür Helfer an. So wie jetzt gerade in Kassel. Viele der Besucher gleich doppelt gewappnet, Knöpfe im Ohr, Smartphones in die Höhe gereckt wie Heilssuchende, auch gerne Sonnenbrillen für gedämpftes Sehen. Trotzdem, vielleicht auch deswegen gewisse Anzeichen von Verwirrung: Jetzt lasse ich mir schon erzählen, was ich sehen soll und verstehe das Gesagte doch nicht. Auch deshalb ernste Gesichter, angestrengt, dem Marschrhythmus der Ohrknöpfe folgen. Wie viel schöner wäre es doch, wenn das Sehen sprechen würde. So aber oft genug, ich höre, um zu sehen, ich fotografiere, um zu sehen. Ergebnis: Ich lasse sehen.

Betreutes Sehen, versorgt durch unsere Rote-Kreuz-Brigade der Kunstszene, den Vermittlern mit ihrer aktuellen Chefärztin, die mit Lust und Leidenschaft am offenen Kunstherz operiert.

Wörtliches Zitat aus einem „SZ“ – Interview“ „Die Tomate, der Hund, die Frau, alles ist aus dem gleichen Stoff‘. Frage:“ Wenn alles aus dem gleichen Stoff ist, was macht dann noch das Besondere der Kunst aus?“ Antwort: „Nichts.“
Vielleicht ist ja Frau Carolyn Christof-Bakargiev Nietzsche Anhängerin, nach dem es immerhin besser ist, das Nichts wollen als nichts wollen. Vielleicht aber auch ist es nur die Rache des Intellekts an der Kunst, Hermeneutik gegen Erotik. Ich bin mir jedenfalls sicher: Wer die Kunst liebt, also wer sie liebt, will mehr, sehr viel mehr als draußen im Garten nach den Tomaten schauen.

Jetzt aber schnell weg von Flora und Fauna und hin zum Eigentlichen, zu einer Märchenerzählung, nicht aus Tausend und einer Nacht, nein, zu diesseits von Afrika. Als ich vor ein paar Tagen den Katalogtext von Thomas Heyden gelesen habe, war ich berührt und angetan. Berührt deshalb, weil er über Vilhelm Hammershoi, den dänischen Maler, für mich ein Meister, sehr subtil einen motivisch und zugleich dinglich-spirituellen Kontext zu den Arbeiten von Verena Waffek hergestellt hat. Und angetan, weil er eine Gedankenbrücke zu der Afrika Reisenden Mary Kingsley (1862-1900) geschlagen hat, die wiederum eine Art Herzensfreundin und Begleiterin von Verena für diese Ausstellung geworden ist.

Das waren jetzt zwei lange Sätze, die ich mit einem sehr kurzen weiter führen möchte. „Dr. Livingston i presume“. Legendär geworden dieser Satz. „Dr. Livingston nehme ich an“, mit dem ein amerikanischer Journalist den englischen Afrikaforscher nach monatelanger Suche so begrüßte, Dr. Livingston, den einzigen Weißen im Umkreis von hunderten von Kilometern.
„Mary Kingsley i presume“, Entdeckerin und Ethnologin, aufgespürt, sichtbar und greifbar gemacht durch die Erinnerungsgeschichte von Verena Waffek, durch ihre Einfühlung, durch lesendes Mitgehen und schließlich dann durch ihre Kunst. „Verena Waffek i am sure“.

Nun ist ganz offensichtlich eine künstlerisch frei suggerierte Erinnerung an etwas Geschehenem nicht das, was wirklich geschehen ist. Das ist aber auch nicht von Bedeutung. Denn eine Kernfrage in diesem Wahrnehmungsgeflecht wie in jedem bleibt so oder so immer ungelöst: Ist wirklich wirklich wirklich, ist echt echt echt?
Wie kann ich z.B. im wirklichen Sinn, im echten Sinn über eine Kunst, eine Künstlerin sprechen, die mir trotz aller Nähe fremd bleiben muss in dem Wissen, dass die Künstlerin selbst sich auch nur bedingt begreifen kann. Ist das wirklich von mir? War ich das? Ist es geglückt? Klingt vielleicht etwas pathetisch, wenn ja, dann ungewollt, denn diese Kunst hier ist im gedanklichen Kern, in ihrem Durchdringen und dessen realer Umsetzung vollkommen unpathetisch. Sie basiert nach meinem Verständnis, sehr verkürzt, auf Empathie und differenzierter Wahrnehmung mit einem wesentlichen Ziel: Das Schöne als das Angemessene zu evozieren.

Deshalb sind Verena Waffeks Arbeiten nie auftrumpfend oder gar aufdringlich und trotzdem oder gerade deswegen wird durch sie die Atmosphäre reich. Sie wird reich, weil ihre Arbeiten eine freundliche Anwesenheit herstellen. Es ist eine Kunst, die mit der gleichen spürbaren Ausstrahlung begabt ist wie ein Mensch, der eher mit Freunden rechnen kann. Verena ist eine Künstlerin, die uns die Kunst zur Freundin macht. Das ist Genuss, das ist Freude, es verändert. Vielleicht hilft ihr dabei, dass sie nicht nur Künstlerin ist, sondern auch Kollaborateurin der Kunst in unterschiedlichen Tätigkeiten, eine flexible Frau, die sich auf keine Eigenschaft festlegen lässt.

Bei all diesem Tun hat sie genau jenes Minimum an schöner Naivität, ohne die keine Poesie möglich ist. Sie füllt ihre Malgedichte, Repetitionsmuster mit Staunen, mit Fragen, bisweilen scherzt sie, wird auch kokett, dann ist sie wieder still, ernst, nachdenklich. Vom Leisen fällt sie ins Singen, nie laut – und immer spielt sie gerne mit Andeutungen, Umdeutungen, Variationen.

Die Idee einer einzigen, wahren Form ist ihr fremd, sie steht für ein offenes Werk, ein Insgesamt an Möglichkeiten. Und immer und überall ihr stupendes Form- und Farbgefühl, gepaart mit hoher Akkuratesse in der Umsetzung. Es ist eine Perfektion, die der Kunst dient, sich ihr unterordnet, bestes Beispiel ihre Installation hier, wie ich finde eine sehr schöne Arbeit mit großer Delikatesse. Sehr oft also setzt sich ihr künstlerisches Material direkt mit der Realität auseinander oder mit dem, was sie als Realität definiert. Sie bleibt also nicht im Traum, nein, sie übersetzt ihn, indem sie ihn sichtbar und greifbar macht, indem er Erzählung wird. Und so schafft sie frohe Botschaften, diskrete Manifestationen der Glücksuche und der Glückfindung. Es sind oft Märchenbilder, Märchenszenarien.

Dezent als Person, dezent als Künstlerin, Dezenz als Haltung, als Achtung auf Formen, eine unaufdringliche Eleganz und deshalb umso augenfälliger, das Gegenteil der formalen Attitüde. Es ist ein Wissen um die Blumen, ein Wissen um das Schöne.

Wenn man über etwas nicht länger reden sollte, sagt man im Ungarischen: „Schleier darüber“. Das ist auch dezent und auch poetisch, weil der Schleier das, was vorhanden ist, belässt, nur in einer anderen, vagen Form. Bei dieser Form möchte ich es auch belassen, den Schleier nicht weiter lüften. Nur noch eins.

Bei Arno Schmidt habe ich vor langer Zeit den Begriff „Verhüllungsgebot“ gefunden, damals ausschließlich im literarischen Kontext, ich finde, ein wunderbarer Begriff, auch eine Art Schleier, wie erfunden für Verenas Zelt, ihre Zeltmetapher: Zeigen, verhüllen, zeigen, oft gar nicht unterscheidbar, ein Sinnliches, ein Fließendes.
Ein Eigenes – und dafür Danke, liebe Verena.

Einführungsrede von Herwig Graef zur Ausstellung »Ein natürschöner Plan«

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
Eine Installation von Verena Waffek im Atelier- und Galeriehaus Defet, 2010